Lukas, ihr bietet keine fertigen Performances, Methoden oder Produkte an. Stattdessen schafft ihr Spielräume, aus denen Zukunftstheater hervorgehen kann. Was ist ein „Spielraum“?

Bei uns Menschen sind unsere Sinne wie verschiedene Räume oder wie verschiedene Welten. Der Tastsinn, der Bewegungssinn, der Musiksinn, der Sehsinn, und noch weitere Sinne, die wir ganz individuell ausgebildet haben, je nach bisherigen Erfahrungen und unseren Talenten. Unser Reichtum als Menschen besteht in diesen Sinnen und ohne sie sind wir arm.

Durch das Schauspielen, dadurch dass Situationen gespielt werden, werden die Sinne belebt: sie werden bereichert, sie werden bewegt, Erfahrungen, die im Leben gemacht worden sind, interagieren mit dem was hier und jetzt ist, mit dem, was dargestellt oder gerade erforscht wird „auf der Bühne“. Und plötzlich kann es sein, dass man einen neuen Blick für die Situation bekommt: ah, ist es so? Ich wusste nicht, dass es so aussieht… kann man das auch so machen? … wir waren in unserem Spielraum.

Aber der Spielraum beginnt schon mit dem Aufkommen der Frage, die ich an anderer Stelle angedeutet habe: dass das Interesse in mir aufkommt einer Geste nachzugehen, einem Thema nachzugehen, z. B. Herrschaftstechniken. Aus mir heraus erforsche ich dann dieses Thema. Ich mache das Schauspielerisch, alleine oder mit anderen, ich spreche darüber mit Menschen. So entstehen Resonanzfelder: meine Frage, mein Talent will ins Leben und andere Menschen gehen mit, kommen mir entgegen und es ist immer wieder spannend, denn da findet meine Kunst Halt und Wiederhall beim Anderen und ich kann sehen wie die Frage beim anderen wurzelt, wie die Resonanz da aussieht. Ich lasse dann „meine“ Frage los und schaue wie ein Kind, offen: was kommt jetzt zum Ausdruck, wo führt das hin? Manchmal vertieft sich mein Ausgangspunkt, manchmal entdecken wir ganz neue Fragen, ja neue Wirklichkeiten.

So wurzelt meine Kunst durch andere Menschen. Das ist das gemeinsame Feld. Darin wächst unser Erfahrungsschatz und er bereichert dann künftig uns und Euch zugleich. Ein Win-Win der Kunst.

Der Spielraum braucht das: einen Vater oder eine Mutter oder jemanden anderes, der Elternteil sein möchte und der offen ist, der nicht durch Angst bewusst oder unbewusst getrieben wird und der Liebe für das Schauspielen hat, für den Ausdruck, für die Geste, für die inneren „Länder“ der Menschen, der nichts Besseres weiss als das gemeinsame Entdecken in den Schauspielräumen. Wie beim Kind, das aufwächst in der Beliebigkeit, wo alles beliebig ist, wo der Alltag so oder so sein kann und es ist den Eltern gleich, so verliert das Schauspielen den Halt, wenn es keinen Rahmen hat.

Der Rahmen kann das Thema sein, eine Methode, die als Ausgangspunkt dient, eine Fragestellung, eine „Gefahr“, etwas, das gemieden werden soll.

Es sind die Schwierigkeiten im Leben, unsere Wunden, unsere schlechten Erfahrungen, unsere Verbote und anderes, die dem Leben Farbe geben. Sonst wäre Alles strahlend weiss. Sonst gibt es keine Zukunftstheater. Die Kunst schaut zunächst zu, sieht was da ist, ohne zu werten, sie lässt auf sich wirken. Manchmal verdaut sie, manchmal taucht sie gleich ins Geschehen und ist mitten drin – der Künstler und Schauspieler als Elternteil damit die Kunst, das geliebte Kind, aufwächst, seine schmerzliche Erfahrungen machen, seine Wonnen erleben, damit das Kind seinen ganzen Lebensspielraum durchmachen kann.

Schauspielkunst ist das Leben als Spielen. Und das Spiel braucht einen Spielraum

Mir gefällt das Wort „Spielraum“. Zum einen drückt es einen Raum aus, der für das Spielen da ist, für das Spielen wie Kinder spielen oder wie Menschen schauspielen. Zum anderen sagt das Wort aus, dass es einen Raum gibt, wo man innerhalb der Wände sich frei bewegen kann. „Da draussen“ mag das nicht der Fall sein aber innerhalb der Wände ist der Raum zum Entdecken, zum Erforschen, zum Spielen da. Es ist wie ein Geschenk. Es muss nicht angenommen werden, es ist lediglich da. Für uns sind unsere Talente wie Geschenke. Wir freuen uns die Welt und das Leben durch unsere Talente zu erforschen aber wir werden anders beschenkt wenn andere Menschen an uns herantreten und uns fragen ob wir nicht die Welt, ihre Welt, unsere Welt durch unsere Schauspieltalente gemeinsam erforschen können. Da entsteht ein Beschenktwerden das in beiden Richtungen geht – das Gemeinsame, eben durch unser Talent für die Kunst und das Schauspielen.

Unsere Arbeit braucht Wurzel, braucht Rahmen, braucht Anhaltspunkte, die wie der Docht der Kerze es ist: Der Prozess kann sich nur dann lebendig entfalten. Der Rahmen, die Einschränkung gibt die Dynamik. Die völlige Freiheit macht, dass sich alles verläuft. Auch dies ist unser Potential: unsere Vertrautheit mit diesen Prozessen, die zwischen dem „Festem“ und der Freude, der Bewegung und der Dynamik sind. Alles das ist Teil vom Leben. Und es ist unsere Freude mit Euch darin unterwegs zu sein.

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