Hast Du erlebt, dass andere verstummten, als Du dazu kamst? Das Du Informationen nicht bekamst, die andere erhielten? Das Du unterbrochen wurdest, als Du etwas Wichtiges zu sagen hattest? Jemand wechselte das Thema und nachdem alle zu Wort gekommen waren, fragte niemand Dich, was Du denkst. Vielleicht musstest Du dir abfällige Kommentare anhören und wurdest verspottet und ausgelacht für etwas, was Du gesagt oder getan hattest, oder dem Du ausgesetzt warst? Dann bist Du wahrscheinlich einer oder mehrerer Herrschaftstechniken begegnet.
Herrschertechniken umfassen alle Grade der Entmachtung, von Vermeidung und Geplänkel bis zu grobem Missbrauch. Sie können offen und direkt geäußert werden oder subtil und indirekt. Die Direktnachrichten sind einfacher wahrzunehmen, weil der Herrscher sie klar auf Dich richtet. Schwieriger sind die indirekten Botschaften zu verstehen, vor allem weil sie wage Andeutungen und versteckte Hinweise enthalten. Sie können auch mit einer widersprüchlichen Körpersprache verstärkt werden, wodurch sie noch schwieriger wahrzunehmen und zu verstehen sind.
Wenn sich Dein Gesprächspartner abwendet und beginnt mit Papier zu rascheln, wärend Du zu ihm sprichst, die Zeitung liest oder auf dem Handy rumtippt, denkst Du wahrscheinlich nicht als erstes daran, dass Du einer Herrschaftstechnik ausgesetzt bist. Auch dann nicht, wenn die Person deine Frage ignoriert, mit den Schultern zuckt oder Dir nur einen verständnislosen Blick schenkt. Es kann andere Gründe für dieses Verhalten geben. Die Person, mit der Du sprichst, ist möglicherweise nicht auf Deine Frage vorbereitet, mit anderen Gedanken beschäftigt, auf ihre Arbeit konzentriert, durch Zeitmangel und hohe Anforderungen gestresst oder einfach nur rücksichtslos.
Wirst Du jedoch wiederholt ignoriert und unterbrochen, wenn Du Deine Ansichten darlegen willst-, stehen Deine Vorschläge selten oder nie zur Disposition-, erhältst Du nicht die Informationen, die andere haben und die Du brauchst um Diskussionen folgen zu können und wichtige Entscheidungen mit zu treffen-, oder werden über Dich herablassende Kommentare und „Witze“ gemacht, dann hast Du Grund zur Annahme, dass Du Herrschaftstechniken ausgesetzt bist.
Die Verwendung von Herrschaftstechniken zielt darauf ab, die Einflussmöglichkeiten anderer Menschen einzuschränken. Sie sind effektive Werkzeuge um Macht und Kontrolle über andere zu erlangen.
Herrschaftstechniken können sehr verunsichernd wirken. Im aktuellen Augenblick finden die wenigsten, die einer Herrschertechnik ausgesetzt sind gute Antworten, um dem Herrscher zu entgegenen.
Der norwegische Psychologe und Philosoph Ingjald Nissen hat den Begriff in den dreißiger Jahren geprägt und dabei beschrieben und analysiert, wie die Nazis an die Macht kamen.
Berit Ås hat Herrschaftstechniken beschrieben
Die Person, die am bekanntesten geworden ist durch ihre Beschreibung von Herrschaftstechniken ist Berit Ås, Arbeitspsychologin und Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Oslo. Berit Ås hatte auch politische Aufgaben und war in den 70er Parteivorsitzende der sozialistischen Linkspartei in Norwegen. Als erste weibliche Parteivorsitzende Norwegens, erlebte sie viele Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit ihre männlichen Kollegen. Sie beschreibt u.a. wie sie ignoriert und unterbrochen wurde und wie ihr wesentliche Informationen vorenthalten wurden. Ihre männlichen Kollegen trafen sich in Kontexten, in denen sie nicht dabei war und diskutierten dabei wichtige Fragen. Als sie dann eine Entscheidung treffen mussten, hatte Berit Ås nicht dieselben Hintergrundinformationen wie sie. Das führte dazu, dass es ihr schwer fiel, sich an Diskussionen zu beteiligen und wichtige Entscheidungen mit zu beeinflussen.
Diese Verhaltensweisen wurden immer und immer wieder wiederholt und Berit Ås verstand, dass es kein Zufall war, dass sie zum Opfer wurde. Eine Frau auf einem hohen politischen Posten, war damals ungewöhnlich. Es lag daher nahe zu glauben, das der Grund dafür, dass sie so behandelt wurde, darin lag, dass sie eine Frau war. Sie vermutete, dass sich ihre männlichen Kollegen in ihren Machtpositionen bedroht fühlten und deshalb ihren Einfluss und ihre Beteiligungsmöglichkeiten schwächten. Berit Ås interessierte sich für diese Verhaltensweisen, die sie kategorisierte und als Herrschaftstechniken benannte.
Hierarchie und Machtstrukturen
Berit Ås ließ die Situationen Revue passieren, in denen sie dabei gewesen war und die sie als schwierig oder anstößig empfunden hatte. Aus ihren Beobachtungen konnte sie ein klare Machtstruktur erkennen, die eine hierarchische Ordnung aufwies, in der Menschen unterschiedlich platziert und bewertet wurden. „Mann sein“, Macht und Status gaben einen höheren Rang. Damit ihre männlichen Kollegen diese Machthierarchie aufrecht erhalten konnten, mussten die, welche die dominierende Ordnung bedrohten, neutralisiert werden. Berit Ås war, in ihrer Eigenschaft als Frau, eine solche Bedrohung.
Die treibende Kraft hinter dem Einsatz von Herrschaftstechniken besteht also in einer starken Angst, Status und Macht zu verlieren, die man als dominanter Herrscher oder Gruppe hat. Um andere daran zu hindern Anspruch auf Einfluss zu erheben oder danach zu streben, werden Herrschaftstechniken eingesetzt. Mit Herrschaftstechniken können Menschen unschädlich gemacht werden, zugleich wird die beherrschende Stellung des Herrschers gestärkt. Herrschaftstechniken sind daher sehr effektiv Methoden, um ungleiche Bedingungen zwischen Menschen zu schaffen.
Die fünf bekanntesten Herrschaftstechniken
Berit Ås beschrieb zunächst fünf verschiedene Herrschaftstechniken, welche die meisten Situationen gut abdecken, in denen solche Methoden verwendet werden. Sie sind im Folgenden kurz zusammengefasst:
- Unsichtbar machen – Dich ignorieren und meiden indem wir Dich oder deine Ansichten nicht sehen, hören oder bemerken.
- Spott – Dich als peinlich oder lächerlich darstellen und Deine Ansichten als unwichtig oder lachhaft hervorheben.
- Zurückhalten von Informationen – Deinen Einfluss und deine Einflussmöglichkeiten einschränken durch das Zurückhalten wichtiger Informationen.
- Doppelte Bestrafung – Dir verschiedene Optionen anbieten und Dich dann der Kritik und Unzufriedenheit aussetzen, egal welche Du gewählt hast.
- Schuld und Scham zuweisen – Dich dazu bringen Schuldgefühle oder Scham wegen etwas zu empfinden, das Du gesagt oder getan hast oder dem Du ausgesetzt warst.
Vergleichen und Bewerten
Höchstwahrscheinlich finden wir den Ursprung von Herrschaftstechniken in dem Menschenbild, welches die Gesellschaft dominiert, in der wir leben. Wenn wir Menschen ausgehend von Titeln, Macht und Status wertschätzen, stärkt es unseren Glauben an eine soziale Ordnung, die auf Rang und Wettbewerb basiert, statt auf Vielfalt und das Wissen, dass der Wert eines jeden Menschen bedingungslos gegeben ist. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das grundlegende Problem nicht darin besteht, dass Menschen unterschiedliche Positionen haben, basierend auf ihren Erfahrungen und Kenntnissen. Dies ist vielmehr die Voraussetzung dafür, dass unser Wissen und unsere Erfahrungen dort eingesetzt werden, wo sie am besten genutzt werden können. So können wir alle einen Beitrag zur Entwicklung und Vielfalt der Gesellschaft leisten. Was eine solche Entwicklung verhindert, ist, wenn wir anfangen zu vergleichen und die Fähigkeiten der anderen als wichtig oder unwichtig zu bewerten, als besser oder schlechter. Wenn wir glauben, dass die Fähigkeiten und Erfahrungen anderer Menschen eine Bedrohung für das sind, was wir selbst wissen und können. Wenn wir andere abwerten und Sündenböcke erschaffen, weil wir glauben, dass wir dadurch selbst besser dastehen. Das aber ist es, wofür die Herrschaftstechniken effektive Methoden sind, denn sie verhindern, dass andere Menschen, mit anderen Fähigkeiten und Erfahrungen, involviert werden und Einfluss nehmen können auf wichtige Fragen.
Herrschaftstechniken in politischen Debatten
In politischen Debatten werden Herrschaftstechniken oft eingesetzt um Gegner dazu zu bringen, dass sie ihre Argumente verlieren und als unwissend und ungebildet dastehen. Dies ist ein anderer Vorgang, als seine eigene Ansicht neben die der anderen zu stellen, denn es geht darum, den Gegner zu vernichten, anstelle davon, eigene Vorschläge zu machen. Es macht die politische Debatte nicht besonders konstruktiv. Es führt vielmehr dazu, dass wir, die wir wählen, uns oft machtlos fühlen und das Interesse verlieren, uns politisch zu engagieren. Dies ist eine ernst zu nehmende Folge der gegenseitigen Beschmierungen zwischen den politischen Parteien.
Nun waren es allerdings nicht die Argumente der verschiedenen politischen Parteien gegeneinander, die das Interesse von Berit Ås in erster Linie auf sich zogen. Es war vielmehr die Ohnmacht, die sie in ihrer eigenen Gruppe erlebte. Etwas, das noch schwieriger zu verstehen sein kann. Die eigenen Kollegen und Mitarbeiter herabzusetzen, führt nicht zu sicheren und effizienten Arbeitsgruppen, die für gemeinsame Ziele zusammenarbeiten. Vielmehr führt es zu unwirksamen Arbeitsgruppen, die von Konflikten und internen Widersprüchen dominiert werden. Wenn es so aussehen kann in der politischen Welt, wie könnte es dann in anderen Gruppen und Zusammenhängen aussehen? An wie vielen Arbeitsplätzen und in wie vielen Arbeitsgruppen kommen diese Problem vor?
Herrschaftstechniken kommen überall vor
Der Einsatz von Herrschaftstechniken ist nicht nur eine politisches Problem. Es ist auch nicht ausschließlich ein Gleichstellungsprobleme, dem Frauen in männerdominierten Gruppen ausgesetzt sind. Herrschaftstechniken treffen auch Männer in von Frauen dominierten Gruppen. Wer auch immer kann Herrschaftstechniken ausgesetzt sein und jede*r kann sie ausüben. Männer können Frauen und Männer angreifen, sowie auch Frauen Frauen und Männer angreifen können. Einzelpersonen können Einzelpersonen oder Gruppen angreifen. Auf die gleiche Weise wie Gruppen andere Gruppen oder Einzelpersonen angreifen können.
Herrschaftstechniken treten hauptsächlich in Umgebungen auf wo sich Menschen regelmäßig treffen. Arbeitsplätze, Schulen, Vereine und Organisationen sind solche Umgebungen. Sie kommen auch in unseren Familien vor. Dort sind sie schwerer zu erkennen, besonders dann, wenn wir sie nicht als Herrschaftstechniken verstehen. Wenn wir mit diesen Kränkungen aufgewachsenen sind, haben wir gelernt, uns an sie anzupassen, als ob sie normale Vorkommnisse wären. Dadurch fällt es uns schwerer darauf zu reagieren und gegen dieses Verhalten vorzugehen.
Weitere Herrschaftstechniken wurden beschrieben
Im Laufe der Jahre wurden weitere Herrschaftstechniken beschrieben, teilweise von Berit Ås, aber auch von anderen Menschen. Åsa Häggström und Bo Rim gehen in ihrem Buch auf die von Berit Ås beschriebenen fünf ersten Herrschaftstechniken ein, sowie auf fünf weitere Herrschaftstechniken. Ihr Buch heisst „Härskartekniker – Maktspel,
maktspråk och manipulationer.“ (Das Buch ist noch nicht veröffentlicht.) Die fünf folgenden Herrschaftstechniken sind:
- Abwerten und herabsetzen – Deine Bedeutung verringern, indem Du, deine Ansichten und deine Handlungen unterschätzt werden.
- Irreführen und wegreden – Um Dich dazu zu bringen, unsicher zu werden und Deine Position fallen zu lassen und um vom Thema abzulenken.
- Widersprechen und doppelte Botschaften geben – Die gesprochenen Worte so beeinflussen, dass sie sich nach etwas anderem anhören, als was gesagt wird.
- Klatsch und Verleumdung – Dich durch Lügen und die Verbreitung von üblen Gerüchte zu brandmarken und anzuschwärzen.
- Körperlicher Missbrauch – Dich durch körperliche Gewalt in die Untergebenheit zu zwingen.
Effektive Methoden der Macht und Kontrolle
Ob Herrschaftstechniken sich durch Drohungen und Gewalt ausdrücken oder in Form von Hinweisen und versteckten Nachrichten, sie beeinflussen uns. Das ist auch die Absicht des Herrschers, wir sollen betroffen sein. So stärkt der Herrscher seine Macht über uns, die Herrschaftstechniken dienen als effektive Methoden der Macht und Kontrolle. So wichtig wie es für den Herrscher ist, Macht über Menschen zu gewinnen – so wichtig ist es für ihn, sie zu behalten. Die Angst, dass er eines Tages übertroffen, exponiert und alleine sein könnte, führt dazu, dass der Herrscher ständig auf der Hut sein muss. Diejenigen, welche die größte Bedrohung für den Herrscher sind, sind Menschen mit Fähigkeiten und Erfahrungen. Auch soziale und beliebte Menschen stellen eine Bedrohung dar, vor allem für die Popularität des Herrschers. Daher sind auch viele kompetente, geschätzte und beliebte Personen für ihn eine Gefahr.
Herrschaftstechniken werden auf vielfältige Weise praktiziert
Herrschaftstechniken können auf viele Arten ausgeübt werden. Elaine Eksvärd, Rhetorikberaterin und Autorin des Buches „Härskarteknik„, hat acht Herrschaftstechniken beschrieben:
- Die Projektionsmethode Dir die Schuld für Probleme, Mängel und Frustrationen zu geben, die der Herrscher hat.
- Die Kompliment-Methode – Dich durch Lob und Komplimente dazu zu bringen, etwas in einer gewissen Weise zu tun.
- Die Stereotypmethode – Dich herauszustellen und zu kritisieren, wenn Du etwas sagst oder tust, was außerhalb gewisser Normen liegt.
- Die Märtyrer-Methode – Dich schuldig fühlen lassen, indem man sich selbst als Opfer deiner Handlungen darstellt.
- Die Ausschlussmethode – Dich ignorieren und aus Zusammenhängen raushalten, die für Dich wichtig und bedeutsam sind.
- Die Hierarchiemethode – Status, Macht und Position ausnutzen, um die Autorität und Überlegenheit Dir gegenüber aufrechtzuerhalten.
- Die Zeitmethode – Auf Alter, Wissen oder Erfahrungen hinweisen, um Dir zu sagen, dass Du nicht so viel weisst und kannst.
- Selbstverursachte Herrschertechnik – Sich selbst verkleinern und dadurch einen unsicheren Eindruck erwecken, den der Herrscher ausnutzen kann, um die Macht über Dich zu ergreifen.
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